Beispiellos unwissend

Nichts Neues bei Frei

Zum Bütefisch-Ordensskandal schreibt er nur aus alten Zeitungen ab

(Kurt Nelhiebel)

Bremen (Weltexpresso) – Als vor Jahren verlautete, der Umgang des Berliner Präsidialamtes und der Bundespräsidenten mit der NS-Vergangenheit solle überprüft werden, stellten sich interessierte Zeitgenossen auf mögliche Überraschungen ein. Die Spannung flaute allerdings rasch ab, nachdem bekannt geworden war, dass die Untersuchung in die Hände des Historikers Norbert Frei gelegt worden ist, dem böse Zungen nachsagen, er verfahre mit den Mächtigen  noch deren mittelalterlichen Motto „Wasch’ mir den Pelz, aber mach’ mich nicht nass.“

Insofern hängt sich sein Berufskollege Volker Weiß ziemlich weit aus dem Fenster, wenn er Freis Buch mit den Ergebnissen der Recherchen im Präsidialamt mit dem Prädikat „bahnbrechend“ belegt. (Süddeutsche Zeitung, 13. Oktober). Davon kann im Ernst nicht die Rede sein. Geradezu kümmerlich  ist das Resultat zum  zentralen Thema  seines Buches, der Ordensaffäre Bütefisch .Dazu  kann er nichts vorweisen, was damals nicht auch in den Zeitungen stand.

Diese Affäre hatte Bundespräsident Heinrich Lübke 1964 mit seiner Entscheidung losgetreten, von dem stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden der Ruhrchemie AG, Heinrich Bütefisch, die sofortige Rückgabe des Großen Bundesverdienstkreuzes zu verlangen, mit dem er ihn kurz davor noch geehrt hatte. Alle an der Verleihung des Ordens Beteiligten haben darüber hinweggesehen, dass Bütefisch 1948 im Nürnberger Prozess gegen IG-Farben-Industrielle  wegen Ausbeutung von Auschwitz-Häftlingen zu Sklavenarbeit zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden war.

Gegenüber dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel behauptete die Ordenskanzlei,  ein „Unbekannter aus Süddeutschland“ habe durch einen Anruf zu Recherchen des Präsidialamtes und der Rücknahmeorder geführt. Bei Norbert Frei heißt es jetzt unter Berufung auf den Spiegel, ein Anruf „aus dem Ausland“, vielleicht auch aus „Süddeutschland“,  habe das Amt davon unterrichtet, dass es einen von den Amerikanern rechtskräftig verurteilten SS-Obersturmbannführer ausgezeichnet habe.

Dass ich es war, der die Affäre angestoßen hat, habe ich in Wahrnehmung meiner journalistischen Pflicht zu wahrheitsgemäßer Berichterstattung in den vergangenen Jahren immer wieder öffentlich bekundet, erstmals am 21. November 1990 in einer Sendung bei Radio Bremen und später dann ab  2003 in allen Auflagen meines Buches zum Auschwitz-Prozess (Asche auf vereisten Wegen, PapyRossa Verlag, Köln). Im März 1964, damals war ich stellvertretender Chefredakteur der antifaschistischen Wochenzeitung die DIE TAT in Frankfurt am Main, habe ich die Leser meiner Zeitung darüber informiert, dass ein Beteiligter an den Massenmorden in Auschwitz mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden ist. Dabei war mir bewusst, dass sich keine einzige amtliche deutsche Stelle bemüßigt fühlen wird, in dieser Sache etwas zu unternehmen. Aus diesem Grund habe ich der ältesten jüdischen Zeitung der Schweiz, dem Israelitischen Wochenblatt für die Schweiz, das wir in der Redaktion abonniert hatten, ein paar Zeilen über den unglaublichen Vorgang geschrieben. Daraufhin bekam ich mit Datum vom 30. März 1964 folgenden Brief des Chefredakteurs der jüdischen Schweizer Zeitung:

„Es dürfte Sie interessieren, dass Ihre Zuschrift den ganzen Rückzug ausgelöst hat. Unsere, routinemäßig erfolgte, sichernde Rückfrage betreffend die Tatsächlichkeit der Ordensverleihung, direkt bei der zuständigen Stelle, war die Initialzündung.. Weder bei der Ordenskanzlei des Bundespräsidenten, noch bei der nordrhein-westfälischen Regierung war vorher etwas von einem Protest gegen diese Ordensverleihung bekannt. Innerhalb einer halben Stunde jedoch wurden sowohl der Bundespräsident wie auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident mobilisiert, und es kam schließlich zu den Ihnen bekannten administrativen Folgen und dem Rauschen im deutschen Blätterwald.“

Natürlich habe ich diesen Brief in all meinen Veröffentlichungen zum Ordensskandal Bütefisch erwähnt. Herr Frei wird sagen: Muss ich das Zeug lesen, das  von den Verfolgten des Naziregimes in die Welt gesetzt wird. Im vorliegenden Fall hätte sich das empfohlen, lautete der Arbeitsauftrag doch: Die Bundespräsidenten und die NS-Vergangenheit. Da sollten Publikationen, die von der Welt der Opfer des Nazi-Regimes handeln, zur Pflichtlektüre gehören.

Norbert Frei, Im Namen  der Deutschen: Die Bundespräsidenten und die NS-Vergangenheit. München: C.H. Beck, 2023

Quelle: Weltexpresso vom 5. 11. 2023.


Beispiellos unwissend

(Conrad Taler)

Das British Museum in London zeigt seit kurzem eine Ausstellung über Deutschland, die nach Darstellung der Deutschen Welle das britische Deutschlandbild verändern und geraderücken will. Der Titel lautet »Germany: Memories of a Nation«. Die Ausstellung sei eine Art Gratulation der Briten zu 25 Jahren Mauerfall. »Der Ausgangspunkt ist«, sagte Museumsdirektor Neil MacGregor gegenüber dem Sender, »daß die meisten Briten von der deutschen Geschichte nur zwölf Jahre kennen, die zwölf schwarzen Jahre sozusagen.« Im Deutschlandradio Kultur lobte MacGregor Deutschland für »eine beispiellos ehrliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit«.

Ist der Direktor des British Museums beispiellos unwissend oder nur beispiellos gefühllos gegenüber denen, die unter dem Nationalsozialismus gelitten haben? Hätte es die beispiellos ehrliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wirklich gegeben, dann hätte die Entnazifizierung nicht durch die vorzeitige Entlassung verurteilter Kriegsverbrecher unterlaufen werden dürfen. Aber Hitlers Generäle mit ihrer Erfahrung im Kampf gegen Rußland wurden für die deutsche Wiederbewaffnung gebraucht.

Der Chef der Nazi-Spionage-Organisation »Fremde Heere Ost«, Reinhard Gehlen, war als Berater westlicher Geheimdienste herzlich willkommen. Zusammen mit dem Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Hans Globke, hintertrieb Gehlen als Leiter des Bundesnachrichtendienstes die Entdeckung Adolf Eichmanns, des Organisators der Massenmorde an den Juden. Ein Verfolgter des Naziregimes, der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, kam ihnen in die Quere.

Was hat es mit einer angeblich beispiellos ehrlichen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu tun, daß an die Spitze des für politische Strafsachen zuständigen Senats beim Bundesgerichtshof ausgerechnet jener Ernst Kanter berufen wurde, der als Chefrichter im besetzten Dänemark für Todesurteile gegen Widerstandskämpfer verantwortlich gewesen war? War es das Ergebnis einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, daß ein Mann wie Theodor Oberländer erst dann aus dem Bundeskabinett entlassen wurde, als ein Verfolgter des Naziregimes dessen tiefbraune Vergangenheit enthüllt hatte?

Wie konnte es dazu kommen, daß einem wegen Auschwitz-Verbrechen verurteilten Industriellen das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde, zu allem Hohn auch noch ausgerechnet wenige Wochen nach Beginn des Auschwitz-Prozesses in Frankfurt? Auch dieser Skandal wäre sang- und klanglos über die öffentliche Bühne gegangen, hätte nicht ein deutscher Verfolgter des Naziregimes die Beteiligten mit der Nase auf diese unglaubliche Verhöhnung der Opfer des Holocaust gestoßen.

Dear Mister Neil MacGregor – haben Sie vielleicht etwas verpaßt?

Quelle: Ossietzky, „Bemerkungen“, 22 (2014)…

Cookie-Einstellungen
Auf dieser Website werden Cookie verwendet. Diese werden für den Betrieb der Website benötigt oder helfen uns dabei, die Website zu verbessern.
Alle Cookies zulassen
Auswahl speichern
Individuelle Einstellungen
Individuelle Einstellungen
Dies ist eine Übersicht aller Cookies, die auf der Website verwendet werden. Sie haben die Möglichkeit, individuelle Cookie-Einstellungen vorzunehmen. Geben Sie einzelnen Cookies oder ganzen Gruppen Ihre Einwilligung. Essentielle Cookies lassen sich nicht deaktivieren.
Speichern
Abbrechen
Essenziell (1)
Essenzielle Cookies werden für die grundlegende Funktionalität der Website benötigt.
Cookies anzeigen