(Conrad Taler)
Eine Reihe von Veröffentlichungen hatte kurz vor Ablauf des Jahres den Einruck erweckt, das Bundeskabinett werde in seiner letzten Sitzung vor der Weihnachtspause über einen Verbotsantrag gegen die NPD entscheiden. Nur wer sich über den Einfluß des CSU-Vorsitzenden Strauß auf das politische Geschehen in Bonn im unklaren ist, konnte überrascht sein, daß ein entsprechender Beschluß dann doch nicht gefaßt wurde. Kurz zuvor hatte Strauß nämlich zu verstehen gegeben, daß er einen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der NPD ablehne. Und ohne die Zustimmung der CSU wagt Bundeskanzler Kiesinger offenbar keine Entscheidung.
Das gilt allem Anschein nach auch für das Problem der Verjährung von NS-Verbrechen. Wenn jetzt davon die Rede ist, dieses Thema werde neben dem Atomwaffensperrvertrag im kommenden Frühjahr zur bisher schwersten Belastungsprobe für die Regierung der Großen Koalition werden, dann ist das hauptsächlich darauf zurückzuführen, daß mit dem entschiedensten Widerstand von Strauß gegen den von Bundesjustizminister Heinemann vorgelegten Gesetzentwurf über die generelle Aufhebung der Verjährung von Mordtaten gerechnet wird.
Der CSU-Vorsitzende hatte schon 1965, als der Bundestag nach einer lebhaften Debatte den Ablauf der Verjährungsfrist auf den 31. Dezember 1969 hinausgeschoben hatte, seinen Protest angemeldet. Strauß meinte damals, mit einer Verlängerung der Verjährungsfrist würde so getan, „als ob nur Deulsche allein Kriegsverbrechen begangen hätten“. Im vergangenen Jahr vertrat er dann die Ansicht, daß es nicht angehe, „über viele Jahrzehnte einen Dauerreinigungsprozeß zu veranstalten, durch den der Selbstbehauptungswille des Volkes in Mitleidenschaft gezogen“ werde.
Mit dieser Äußerung gab Strauß zu verstehen, daß er das Problem der Verjährungsfrist für NS-Verbrechen ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der politischen Zweckmäßigkeit betrachtet. …
Erschienen in: Blätter für deutsche und internationale Politik, H. 1 (1969), S. 7-11.