Anti-Antisemitismus

Grußwort für die „Nacht der Jugend“ am 8. November 2018

Lassen Sie sich nicht entmutigen

Verehrte Anwesende!

Ich bedanke mich herzlich für die Einladung zur diesjährigen „Nacht der Jugend“. Ehrengast einer Veranstaltung zu sein, in der junge Menschen ihre Stimme gegen das Verdrängen und Vergessen der Vergangenheit erheben, betrachte ich als besondere Auszeichnung, ähnlich dem „Stern der Hoffnung über dem Herzen“, von dem Ingeborg Bachmann in einem ihrer Gedichte spricht.

So lange ich denken kann begleitet mich die Sorge, dass eines Tages niemand mehr weiß, wie das begann, was mit Auschwitz endete. Dass jetzt ein Mann nach dem höchsten Parteiamt der CDU greift, der öffentlich bekundete, seine Generation wolle sich nicht mehr für Auschwitz und die deutsche Vergangenheit in Haftung nehmen lassen, beunruhigt mich.

Als er das sagte waren seit der Nazizeit 45 Jahre vergangen. Für einen anderen, den späteren Bundeskanzler Helmut Kohl, war es 17 Jahre nach dem Ende der Barbarei noch zu früh für ein abschließendes Urteil über den Nationalsozialismus. Ich war dabei, als er das dem Initiator des Auschwitz-Prozesses, Fritz Bauer, entgegenhielt. Wurde der richtige Zeitpunkt verpasst?

Inzwischen sitzt eine Partei als drittstärkste Fraktion im Deutschen Bundestag, deren Vorsitzender die Nazizeit als „Vogelschiss“ abtut gemessen an tausend Jahren deutscher Geschichte. Gehört die Erinnerung an die Verbrechen der Nazizeit und die Scham über das Wegsehen für manche nicht zur nationalen Identität?

Dass der Tag der Befreiung von Auschwitz seit 1996 in Deutschland als gesetzlich verankerter Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus begangen wird, reicht nicht. Wir sollten auch derer gedenken, die – wie auch immer – unter Gefahr für Leib und Leben Widerstand geleistet haben. Sie bildeten schließlich das Fundament des demokratischen Wiederaufbaus.

Ausgerechnet zu einer Zeit, da sich der Naziungeist wieder breit macht, hat die SPD jetzt ihre Historische Kommission aufgelöst. Dabei ist immer noch nicht erfüllt, was der einstige Bundespräsident Gustav Heinemann 1970 gefordert hat, nämlich, dass ein freiheitlich-demokratisches Deutschland unsere Geschichte bis in die Schulbücher hinein anders schreibt.

Lassen Sie sich nicht entmutigen. Mischen Sie sich ein, wann immer und wo auch immer sie die Demokratie bedroht sehen.  Ich wünsche der „Nacht der Jugend“ einen guten Verlauf.

Quelle: Originalbeitrag


Die ihr rieft, die Geister…

Antisemitische Straftaten wieder gestiegen

Bremen (Weltexpresso) – Die Zahl antisemitischer Straftaten in Deutschland ist im ersten Halbjahr 2017 zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder gestiegen, und zwar auf 681. Es vergeht also kein Tag, an dem nicht mindestens drei solcher Straftaten begangen werden. Und das zur selben Zeit, da erstmals aus den Reihen einer Bundestagspartei ungeniert nach einem Schlussstrich unter die Vergangenheit gerufen wird. Ist dieses Land wirklich reif für eine Führungsrolle in der Welt? Was verbirgt sich hinter dem schönen Schein wirtschaftlicher Erfolge?

Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Bremen, Elvira Noa, sagte im Gespräch mit der Tageszeitung Weser-Kurier vom 2. Dezember: „Auf den Schulhöfen ist ‚Jude’ längst zum Schimpfwort geworden. Kinder werden angefeindet, beschimpft und kommen weinend nach Hause. Die Eltern sind besorgt. Manche Lehrer lassen aus Angst vor Diskussionen das Judentum im Religionsunterricht einfach aus.“ Auf die Frage, ob Antisemitismus in Deutschland wieder hoffähig geworden sei, antwortete sie: „Auf jeden Fall. Viele haben keine Scheu mehr, die deutsche Vergangenheit ganz offen als Last abzutun.“

Haben die politisch Verantwortlichen mit ihrem notorisch guten Gewissen in Sachen Vergangenheitsbewältigung etwas nicht mitbekommen? Oder wie sonst soll man sich ihr Schweigen zu den alarmierenden Zahlen erklären? Anscheinend haben sie sich damit abgefunden, dass ein Fünftel der Deutschen anfällig ist für rassistische Ideen und nationalistischen Größenwahn? Was Elvira Noa über die Zustände an Schulen berichtet ist nicht neu, sie beschreibt einen Dauerzustand. 1988 machten in Berlin Meldungen über zunehmenden Antisemitismus an den Schulen die Runde. Der Vorsitzende der Berliner Jüdischen Gemeinde, Heinz Galinski, warnte in einer Sondersitzung des Schulausschusses im Abgeordnetenhaus eindringlich davor, die antijüdischen und ausländerfeindlichen Vorkommnisse weiterhin zu vertuschen. Geändert hat sich nichts.

Bereits 1982 hatten Wissenschaftler der Freien Universität in einem Bericht über die Verhältnisse an den Schulen Westberlins festgestellt, dass rechtsextremistische Schmierereien und antisemitische Redensarten fast überall an der Tagesordnung seien. Als eine der Ursachen nannten sie mangelndes antifaschistisches Bewusstsein. Sie beklagten, dass die Behörden die Untersuchung der Missstände nur wenig unterstützt und teilweise sogar behindert hätten. Die Schulbehörde appellierte an die Lehrer, nicht wegzusehen, wenn sie solche Vorfälle beobachteten, und die verantwortlichen Politiker zeigten sich wieder einmal äußerst beunruhigt.

Und heute? Was antifaschistisches Bewusstsein heißt, wissen nicht einmal alle Erwachsenen, geschweige denn die Kinder. Berliner Zustände herrschten auch anderswo. Die Landesschülervertretung von Nordrhein-Westfalen wusste 1989 zu berichten, dass an 60 Prozent der Schulen des Landes rechtsradikales Informationsmaterial verteilt werde. Vielerorts gebe es ausländerfeindliche Schmierereien und tätliche Angriffe auf ausländische Schüler. Wieder meldete sich Heinz Galinski zu Wort und beanstandete, dass nirgendwo entsprechende Maßnahmen gegen das rechtsextremistische Treiben unternommen würden. Dabei kämen rechtsextremistische Jungwähler mittlerweile auch aus „gut situierten Familien“.

Bei einer Meinungserhebung bejahte 1992 nur jeder Dritte die Frage, ob das deutsche Volk eine besondere Verantwortung gegenüber den Juden habe. 42 Prozent verneinten sie. Bei einer anderen Umfrage sprachen sich 1994 mehr als die Hälfte der befragten Deutschen dafür aus, einen Schlussstrich unter die Nazivergangenheit zu ziehen. Als Ende der 1970er Jahre die amerikanische Fernsehserie HOLOCAUST Furore machte, erklärte der CSU-Vorsitzende Strauß, es werde „mit propagandistischen Mitteln eine Hysterie gegen einen angeblichen Rechtsradikalismus betrieben, der jedoch an Umfang und Heftigkeit mit dem Linksradikalismus überhaupt nicht zu vergleichen sei“.

Schnee von gestern? Von wegen. Kurz nach Bekanntwerden der neuen Zahlen über die Zunahme rechtsextremistischer antisemitischer Straftaten in Deutschland wurde die Öffentlichkeit mit Meldungen über polizeiliche Durchsuchungen im linksextremistischen Milieu zugeschüttet. Gab es einen aktuellen Anlass? Nein, es war angebliche Nacharbeit zur Aufklärung der Zusammenstöße während des G-20-Gipfels in Hamburg.

Quelle: Weltexpresso (Frankfurt am Main), 7. Dezember 2017.


Der braune Faden

Vom deutschen Hass auf Juden und Kommunisten

Die Debatte über das neue Feindbild des Anti-Islamismus[1] verweist auf eine traurige Tradition der Bundesrepublik. Von Beginn der bundesdeutschen Geschichte an spielten die gezielte Feindbildproduktion und deren Instrumentalisierung eine maßgebliche Rolle – insbesondere mit Blick auf den Antisemitismus und seine strategisch-ideologische Verbindung mit dem Antikommunismus. Dabei konnten diese Strategien problemlos an das Erbe des Nationalsozialismus anknüpfen.

Wie es nach dem Zweiten Weltkrieg um die Haltung der Westdeutschen gegenüber den Juden bestellt war, offenbarte erstmals eine Umfrage, die der amerikanische Hochkommissar für Deutschland, John McCloy, 1951 bei deutschen Instituten in Auftrag gegeben hatte. 17 Prozent der Befragten meinten damals, die Juden, die das NS-Regime überlebt hatten, hätten das geringste Anrecht auf Hilfe. In erster Linie sollte den Kriegerwitwen und den Kriegswaisen geholfen werden. Als zweite Gruppe wurden die Bombengeschädigten genannt, als dritte die Vertriebenen, dann die Angehörigen der Teilnehmer am Attentat auf Hitler. An letzter Stelle wurden die Juden genannt. Nur zwei Prozent der Befragten billigten ihnen das größte Anrecht auf Hilfe zu.

Ein ähnliches Bild ergab 1952 eine Erhebung des Allensbacher Instituts für Demoskopie zur Haltung der Deutschen gegenüber Wiedergutmachungsleistungen an Israel. Nur 11 Prozent waren uneingeschränkt dafür, 44 Prozent hielten sie für überflüssig, 21 Prozent wollten sich nicht dazu äußern.[2] Konrad Adenauer wollte Israel anfänglich mit zehn Mio. DM abspeisen, die er einem Mittelsmann als „Geste der Wiedergutmachung“ anbot. Die Israelis quittierten die Offerte mit eisigem Schweigen. In der Hoffnung, sich damit den Rücken für die Aufstellung deutscher Streitkräfte freizuhalten, erhöhte Adenauer sein Angebot später auf 3,4 Mrd. DM. Dieser Betrag wurde dann im Luxemburger Abkommen von 1952 festgeschrieben. Zu entrichten war er in jährlichen Raten von 261 Mio. DM; das entsprach knapp einem halben Prozent der Ausgaben des Bundeshaushalts von 1953.

Weiterlesen in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 4 (2010)

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