Nationalismus

Die andere Gewalt

Worüber nach dem G-20 Gipfel zu reden wäre

Bremen (Weltexpresso) – In zwei Wochen wird in Hamburg von den Spuren der Gewalt vermummter Chaoten nichts mehr zu sehen sein. Wo ausgebrannte Autos standen, werden neue stehen und die Regale in den geplünderten Supermärkten werden wieder gefüllt sein. Die Spuren der Gewalt hingegen, die die Mächtigen der Welt gegen die Armen und Schwachen ausüben, verschandeln weiterhin das Gesicht unserer Erde und nichts deutet darauf hin, dass sich auf absehbare Zeit daran etwas ändert.

Quod licet Jovi, non licet Bovi, sagen die einen, während die anderen das Recht des Stärkeren nicht länger hinnehmen wollen. Statt über die Ursachen der globalen Probleme und deren Beseitigung zu reden, wird – wieder einmal – über eine Verbesserung der polizeilichen Zusammenarbeit, diesmal auf europäische Ebene, schwadroniert und dem Linksextremismus der Kampf angesagt. Als die Jeunesse dorrée unter den Talaren den Muff von 1000 Jahren entdeckte und gegen ihre naziverseuchten Väter auf die Straße ging, brach dasselbe Gejammere los, mit dem uns Politiker jeglicher Couleur jetzt in den Ohren liegen. Bei uns wäre nicht passiert, was in Hamburg passiert ist, prahlte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann, in dessen Zuständigkeitsbereich die rechtsterroristische NSU-Mordgruppe die meisten ihrer Verbrechen begehen konnte, ohne dass Polizei und Verfassungsschutz etwas bemerkten.

„Globalisierung außer Kontrolle – Traut Euch! Radikal denken, entschlossen handeln – nur so ist die Welt noch zu retten“ Das stand wenige Tage vor Beginn des G-20-Gipfels nicht im linken Neuen Deutschland, sondern auf der Titelseite des Hamburger Nachrichtenmagazins Der Spiegel, ergänzt durch eine Grafik, der zufolge dem reichsten Zehntel der Menschheit 89 Prozent des Vermögens gehört. Auf die nächsten 40 Prozent entfielen 10,8 Prozent, und der ärmsten Hälfte der Menschheit gehöre fast nichts, nämlich nur 0.2 Prozent. Angesichts dieser Zahlen klingt es wie Hohn, wenn Martin Schulz und Siegmar Gabriel verlangen, die Globalisierung gerechter zu gestalten. Um dem von Helmut Schmidt so bezeichneten „Raubtierkapitalismus“ die Zähne zu ziehen, wird das nicht reichen.

Donald Trump verkörpert diesen Raubtierkapitalismus, von Martin Schulz auch als „zügelloser Wildwest-Kapitalismus“ apostrophiert, in Reinkultur. Sein „America First“ ist eine Kampfansage an die Welt. Er betrachtet die USA als Geschäftsunternehmen, bei dem nur eines zählt: Der eigene Nutzen, oder genauer gesagt: der Profit. Was für ein Desaster für die vermeintlich beste aller Welten! Zerknirscht kommt Stefan Kornelius in der Süddeutschen Zeitung zu dem Schluss: „Die USA führen nicht mehr die freie und offene Welt an, sie arbeiten gegen sie.“

Was bedeuten angesichts dieses politischen Scherbenhaufens die Scherben von Hamburg? Aber bei uns läuft alles wieder nur auf die armselige Forderung hinaus, den Staat zu stärken, die Polizei besser auszurüsten und dem verantwortlichen Bürgermeister und sozialdemokratischen Hoffnungsträger Olaf Scholz den Stuhl vor die Tür zu setzen. Der Ruf nach Einsatz der Bundeswehr im Innern wird nicht lange auf sich warten lassen. Armes Deutschland. Es wird den obrigkeitsstaatlichen Morast in den Köpfen einfach nicht los.

Quelle: Weltexpresso, Frankfurt am Main, 11. Juli 2017


Freie Fahrt nach rechts

Karlsruhe ebnet der AfD den Weg zu weiteren Erfolgen

Ja, die NPD ist verfassungsfeindlich und dem Nationalsozialismus wesensverwandt, aber ungefährlich. So lautet, kurz gefasst, der Freifahrtschein, den das Bundesverfassungsgericht den rechten Hetzern mit seinem Urteil in Sachen NPD ausgestellt hat. Das Gericht ist damit seiner Linie treu geblieben, das Grundgesetz in der Regel zu Gunsten seiner rechten Verächter auszulegen. Zwar arbeite die NPD auf die Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung hin, heißt es in dem knapp 300 Seiten starken Urteil, aber es fehle „an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolgt führt“. (Az. 2 BvB 1/13)

So feinsinnig argumentierte das höchste deutsche Gericht nicht, als es auf Wunsch der Bundesregierung unter Konrad Adenauer 1956 die Kommunistische Partei Deutschlands verbot. Eine ernst zu nehmende Gefahr war die Partei nicht, aber das Verbot wurde als Instrument zur Kriminalisierung der Opposition gegen die umstrittene deutsche Wiederbewaffnung benötigt, es war politisch gewollt. Ein Verbot der NPD hat keine einzige Bundesregierung ernsthaft gewollt, zu fließend sind immer die Grenzen gewesen zwischen den Unionsparteien und den Gruppierungen am äußeren rechten Rand. Anhand zahlreicher Beispiele belegte bereits 1969 die von Martin Niemöller herausgegebene „Stimme der Gemeinde“ die übereinstimmende Argumentation. Die Überschrift lautete: „Warum die NPD nicht verboten wird“.

Inzwischen sind die Nationaldemokraten von der AfD an die Seite gedrängt worden. Deren Sprecher können sich durch das Urteil im NPD-Verfahren ermutigt fühlen, noch etwas forscher aufzutreten, um den Unionsparteien weitere Wählerschichten abspenstig zu machen. Was soll ihnen jetzt schon passieren? Wohl nicht von ungefähr räumte Gerichtspräsident Voßkuhle ein, dass der eine oder andere das Ergebnis des Verfahrens als irritierend empfinden werde. Die Verantwortung schob er dem Bundestag zu. Er könne ja die staatliche Parteienfinanzierung neu regeln und der NPD auf diesem Wege den Geldhahn zudrehen. Im Übrigen stellte Karlsruhe dem Bundestag, dem Bundesrat und der Bundesregierung anheim, erneut ein NPD-Verbot zu beantragen, sollte die Partei in Zukunft an Zustimmung gewinnen. Damit entfernte sich das Gericht meilenweit von dem Vermächtnis des kürzlich verstorbenen Altbundespräsidenten Roman Herzog: „Die Erfahrung der NS-Zeit verlangt von uns und allen künftigen Generationen, nicht erst aktiv zu werden, wenn sich die Schlinge schon um unseren Hals legt.“

Für die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, wäre das Verbot einer offensichtlich rechtsextremen Partei „wichtig für die politische Hygiene in unserem Land gewesen“. Aber da lag seit jeher manches im Argen. Zum Beispiel machte das Bundesverfassungsgericht 2004 der NPD den Weg frei für eine Kundgebung gegen den Bau einer Synagoge in Bochum, die von der örtlichen Polizei und dem zuständigen Oberverwaltungsgericht verboten worden war. Das Recht der NPD auf freie Meinungsäußerung wurde höher bewertet als das Recht der Opfer des Holocaust, vor den Schmähungen der Neonazis geschützt zu werden. Bereits vor der jetzigen Urteilsverkündung hatte der Historiker Urich Schneider namens der Vereinigung der Verfolgten der Naziregimes/Bund der Antifaschisten erklärt, wer die NPD dulde, legitimiere deren Ideologie des Rassismus, Antisemitismus und der gesellschaftlichen Ausgrenzung von Minderheiten. Das Internationale Auschwitz-Komitee sprach von einem „tragischen Tag für die wehrhafte Demokratie“; die Überlebenden des Holocaust empfänden das Urteil als „eine empörende und erschreckend realitätsferne Einscheidung“, sagte Vizepräsident Christopf Heubner. Ansonsten Wortgeklingel. Die SPD-Generalsekretärin Katarina Barley forderte ein entschlossenes Vorgehen gegen Rechtsextremisten und Rechtspopulisten, der CSU-Vorsitzende Seehofer zeigte sich enttäuscht, bezeichnete das Verbotsverfahren selbst aber als Erfolg, weil der Öffentlichkeit die verfassungsfeindlichen Bestrebungen der NPD vor Augen geführt worden seien.

Originalbeitrag, Bremen, 17. Januar 2017


Roman Herzogs Vermächtnis

Zum Tod des verstorbenen ehemaligen Bundespräsidenten

Nein, nicht die so genannte Ruck-Rede ist das Wichtigste, das der verstorbene ehemalige Bundespräsident Roman Herzog der Nachwelt hinterlassen hat, wie uns die Medien in ihrer Kurzsichtigkeit glauben machen wollen, viel wichtiger ist seine Rede zur Einführung eines Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus. Die Ruck-Rede vom 26. April 1997 war nach innen gerichtet, an die eigenen Landsleute, die andere, die Rede vom 19. Januar 1996, richtete sich an die Weltöffentlichkeit, an die europäischen Völker, die unter der Naziherrschaft gelitten haben, an die in alle Welt verstreuten Überlebenden und die Hinterbliebenen der Opfer des Holocaust. Ähnlich wie der Kniefall Willy Brandts vor dem Mahnmal für die Opfer des Warschauer Ghettoaufstandes bewegte diese Rede die Herzen der Menschen.

In der Ruck-Rede wandte sich Herzog an die deutschen Eliten in Politik, Wirtschaft, Medien und gesellschaftlichen Gruppen. Bei ihnen vermisse er die Fähigkeit und den Willen, das als Richtig erkannte auch durchzustehen. „Ich rufe auf zur inneren Erneuerung! Durch Deutschland muss ein Ruck gehen. Wir müssen Abschied nehmen von liebgewordenen Besitzständen. Alle sind angesprochen, alle müssen Opfer bringen, alle müssen mitmachen.“ Viel scheint nicht hängen geblieben zu sein von dieser Rede, sonst hätte die Kluft zwischen Arm und Reich in den seither verflossenen zwanzig Jahren nicht so tief werden dürfen.

Roman Herzog war in seinem Denken und Handeln ein Konservativer, aber einer von denen, die den Blick für das Wesentliche und das Wahre niemals verlieren. So manchen aus den eigenen Reihen missfiel es, dass Herzog Liebgewordenes in Zweifel zog. „Ich glaube nicht“, sagte er als frisch gekürter Bundespräsident, „dass Nationalgefühl oder gar Nationalstolz – diesem Begriff begegne ich mit allergrößter Vorsicht – noch ein Movens für unser Volk sein kann.“ Deutschland möge der Welt unverkrampft und nicht mit gefletschten Zähnen gegenübertreten.

Zu denen, die sich von solchen Aussagen zutiefst irritiert fühlten, gehörten die Vertriebenen, die selbst nach der völkerrechtlichen Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als polnische Westgrenze ihre Träume von der Wiedergewinnung der verlorenen gegangenen Ostgebiete nicht aufgeben wollten. Sie beschimpften Roman Herzog als „Vaterlandsverräter“, weil er 1996 in seiner Rede auf der zentralen Veranstaltung des Bundes der Vertriebenen zum Tag der Heimat allen Ansprüchen auf ehemals deutsche Gebiete eine Absage erteilt hatte. Der Bundespräsident fühlte sich von dem Vorwurf tief getroffen. Zornig erwidert er: „Das habe ich nicht nötig, mir das von Ihnen sagen zu lassen. Schämen Sie sich!“

Geschehen ist das im selben Jahr, in dem Herzog im Bundestag seinen Entschluss erläuterte, den 27. Januar, den Tag der Befreiung des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz durch sowjetische Truppen, künftig als Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus zu begehen. Ihm sei es wichtig, sich daran zu erinnern, wie alles begonnen habe, sagte er damals. Viele hätten sich schuldig gemacht, aber die entscheidende Aufgabe sei es, eine Wiederholung – wo und in welcher Form auch immer – zu verhindern. Dazu gehöre beides: „Die Kenntnis der Folgen von Rassismus und Totalitarismus und die Kenntnis der Anfänge, die oft im Kleinen, ja sogar im Banalen liegen können“. Mit Rechtsnormen allein ließen sich die Menschen nicht immunisieren. Dazu bedürfe es zusätzlicher Anstrengungen. Das sei der Grund gewesen, den 27. Januar mit Zustimmung aller Parteien zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus zu erklären.

„Ich weiß“, fuhr der Bundespräsident fort, „dass die menschliche Sprache nicht ausreicht, in einer kurzen Formel das zum Ausdruck zu bringen, was damit wirklich gemeint ist. ‚Opfer des Holocaust’ wäre ein zu enger Begriff gewesen, weil die nationalsozialistische Rassenpolitik mehr Menschen betroffen hat als die Juden…So habe ich es bei der in unseren Sprachgebrauch eingegangenen Formulierung ‚Opfer des Nationalsozialismus’ belassen … Ich verbinde damit die Hoffnung, wir möchten gemeinsam Formen des Erinnerns finden, die zuverlässig in die Zukunft wirken … Ganz besonders wichtig aber ist es, unsere jungen Menschen zu erreichen … Die Erfahrung der NS-Zeit verlangt von uns und allen künftigen Generationen, nicht erst aktiv zu werden, wenn sich die Schlinge schon um den eigenen Hals legt.“

Quelle: Weltexpresso, Frankfurt am Main, 10. Januar 2017


Wird die NPD verboten?

Wenn die Grenzen fließend sind…

Am 17. Januar will das Bundesverfassungsgericht das Urteil im NPD-Verbotsverfahren verkünden, das der Bundesrat am 3. Dezember 2013 angestrengt hat. Die Ländervertretung handelte unter dem Eindruck der Mordserie des so genannten nationalsozialistischen Untergrunds, dem zehn Menschen zum Opfer fielen. Die Bundesregierung hielt nach den Worten ihres Sprechers Steffen Seibert einen eigenen Verbotsantrag nicht für erforderlich. Sie unterstützte die Länder aber bei ihrem Vorhaben. Auch der Bundestag beteiligte sich nicht an dem Verbotsverfahren.

Ein von der Bundesregierung unter Gerhard Schröder beantragtes Verbot der rechtsradikalen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands scheiterte 2003 aus formalen Gründen. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts konnte nicht geklärt werden, welche der zum Beweis der Verfassungswidrigkeit vorgelegten Aussagen der NPD zuzuordnen seien und welche auf das Konto von V-Leuten des Verfassungsschutzes in der Führungsebene der Partei gingen. Das Gericht schuf damit ein Kriterium, das in den Verbotsverfahren gegen die Kommunistische Partei Deutschlands und gegen die neonazistische Sozialistische Reichspartei (SRP) Mitte der 1950er Jahre keine Rolle gespielt hat. Beide Verbote waren politisch gewollt. Sie sollten der Bundesregierung unter Konrad Adenauer den Rücken freihalten bei der umstrittenen deutschen Wiederbewaffnung.

Die NPD wurde Mitte der 1960er Jahre als Auffangbecken für versprengte Anhänger des rechten Spektrums ins Leben gerufen. Spektakuläre Wahlerfolge verhalfen ihr auf Anhieb zum Einzug in sieben Landtage. Ähnlich wie jetzt die Alternative für Deutschland (AfD) stand sie lange im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion. Der Sprung in den Bundestag gelang ihr jedoch nie. Ins Blickfeld geriet sie wieder im Zusammenhang mit der erwähnten Mordserie, deren Verlauf eine gewisse Einäugigkeit von Polizei und Verfassungsschutz bei der Beobachtung rechtsextremistischer Umtriebe offenbarte. Die Frage, ob ein Verbot der NPD politisch anzustreben sei, wird seit mehr als 40 Jahren kontrovers diskutiert. Eine Rolle spielte dabei unter anderem, dass die Grenzen zwischen Rechtsaußen und der Mitte der Gesellschaft stets fließend waren. Bei der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht über den Verbotsantrag des Bundesrates im März des vergangenen Jahres ging es unter anderem um die Frage, ob eine Partei mit verhältnismäßig geringer Mitgliederzahl die freiheitliche demokratische Grundordnung gefährden kann. Das Bundesverfassungsgericht hat sich gegenüber rechtsextremistischen Hetzern bisher sehr großzügig verhalten. Als die Bundesregeierung zu Beginn der 1970er Jahre verlangte, dem Herausgeber der „Nationalzeitung“, Gerhard Frey, das Grundrecht der Meinungs- und Pressefreiheit zu entziehen, weil seine Publikationen einen „aggressiven Antisemitismus“ offenbarten, scheiterte sie damit in Karlsruhe. 2004 machte das Bundesverfassungsgericht der NPD den Weg frei für eine Kundgebung gegen den Bau einer Synagoge in Bochum, die von der örtlichen Polizei und dem zuständigen Oberverwaltungsgericht verboten worden war. Begründung: Die Ausübung der Meinungsfreiheit dürfe nicht unter den Vorbehalt gestellt werden, „dass die geäußerten Meinungsinhalte herrschenden sozialen oder ethischen Auffassungen nicht widersprechen“. (1 BvQ19/04).

Drei Neonazis, die „Ausländer raus“ gefordert hatten und von zwei Gerichten wegen Volksverhetzung verurteilt worden waren, blieben am Ende ungeschoren, weil das Bundesverfassungsgericht entschied, ein Angriff auf die Menschenwürde sei nur dann gegeben, wenn der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen werde. Zwar mache ein Plakat mit der Aufschrift „Ausländer raus“ unmissverständlich deutlich, dass die dafür Verantwortlichen Ausländer „rückführen“ wollten, der Umfang und die Mittel würden jedoch nicht benannt. „Dem Plakat ist daher nicht ohne weiteres zu entnehmen, dass Ausländer entrechtet oder zum Objekt gemacht werden sollen beziehungsweise als rechtlos oder Objekt angesehen werden.“ (Beschluss vom 5. 3. 2010).

Wenn es stimmt, dass das Bundesverfassungsgericht das Menschenwürdeprinzip aller Voraussicht nach zum Fundament des jetzigen Verfahrens gegen die NPD machen wird, wie nach Abschluss der ersten Karlsruher Verhandlungsrunde vermutet wurde, dann müsste sich das Gericht mit seiner eigenen Rechtsprechung auseinandersetzen und für den Fall eines Verbots über seinen eigenen Schatten springen. Nach Medienberichten halten sowohl die klagenden Länder als auch die Bundesregierung ein Verbot für unwahrscheinlich.

Quelle: Weltexpresso, Frankfurt am Main, 9. Januar 2017


Menetekel „Harzburger Front“

Beispiele der Übereinstimmung zwischen CDU/CSU und NPD – Der Nationalismus in europäischem Gewand

Von Conrad Taler

Eine „Untat“ nannte es der CSU-Vorsitzende Strauß, gegen seine Partei den Vorwurf des „Nationalismus oder der Nähe zu einer rechtsradikalen Partei“ zu erheben. Auch der CDU-Vorsitzende, Bundeskanzler Kiesinger, wies nachdrücklich MENETEKEL „HARZBURGER FRONT“ jeden Verdacht zurück, daß ,,ausgerechnet diese CDU und diese CSU nationalistische Züge“ hätten. Und der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Stücklen, versicherte: „Es gibt keine Verbindung der CSU zur NPD, und es wird sie nicht geben.“

MENETEKEL „HARZBURGER FRONT (PDF)

Was die drei Unionspolitiker veranlaßte, sich auf dem CSU-Parteitag in München am 13.114. Juni in dieser Weise zu äußern, war die Anmerkung des SPD-Vorsitzenden Brandt, in der Bundesrepublik existiere die „Mini-Ausgabe“ einer neuen „Harzburger Front“, also jenes Bündnisses, das die Deutschnationale Volkspartei und der Stahlhelm 1931 in Bad Ilarzburg mit der NSDAP eingingen.

Der einstige Antifaschist und Emigrant Willy Brandt hatte sich wegen seiner Warnungen vor einer Rechtsentwicklung in der Bundesrepublik schon vor dem Münchner CSU-Kongreß Fußtritte der sogenannten gemäßigten und der extremen Rechten eingehandelt. Nun sollte auf dem christlich-sozialen Parteitag ein für allemal mit den Vorwürfen aufgeräumt werden, in den Unionsparteien huldigten manche Leute einem Nationalismus unseligen Angedenkens. Die Zauberformel lautete sinngemäß: Wer für Europa eintrete, könne gar kein Nationalist sein. Im einzelnen hörte sich das so an:

„Ich habe immer . . . erklärt, daß in unseren Augen der Nationalismus der Totengräber Europas ist. Es gibt keine europäischer orientierte Partei als die Christlich-Soziale Union.. .“ (Strauß). „Wir lassen uns im europäischen Willen . . . von niemandem in der Bundesrepublik übertreffen“ (Kiesinger). „Die CSU macht Front gegen jedes Aufkeinem von Nationalismus und Chauvinismus in unserem Land“ (Stücklen).

Nun ist freilich der CSU-Vorsitzende Strauß so selbstlos europäisch wiederum nicht, daß er sein Bekenntnis zu Europa ganz ohne ,,aber“ vorgebracht hätte. Er fügte nämlich den erwähnten beiden Sätzen die Worte an: „Aber wir lassen uns auch nicht durch Hinweis auf NPD oder auf Nationalismus daran hindern, die volle Wahrheit für Deutschland, Gerechtigkeit für unsere Nation und Rückkehr als gleichberechtigtes Mitglied in die Gesellschaft der Völkerfamilie zu verlangen.“

„Volle Wahrheit für Deutschland“; was kann damit gemeint sein? Etwa, daß das Hitler-Deutschland nicht schuld war am Zweiten Weltkrieg? …

Erschienen in: Blätter für deutsche und internationale Politik, H. 7 (1969), S. 695-703.


Das Trauma vom verlorenen „Platz an der Sonne“

Der deutsche Nationalismus in europäischem Gewand

(Conrad Taler)

Wieder einmal schießt der deutsche Nationalismus ins Kraut, so wie er vor dem Ersten und vor dem Zweiten Weltkrieg ins Kraut schoß. Abermals werden die Deutschen aufgerufen, der Aufteilung der Welt nicht tatenlos zuzusehen, nur daß diesmal der Nationalismus ein anderes Gewand trägt: er kleidet sich europäisch. Europa, so verlangte der CSU-Vorsitzende Strauß, dürfe sich nicht länger mit der Rolle des ohnmächtigen Zuschauers begnügen, während die beiden Supermächte die Welt unter sich aufteilen; es dürfe sich von der übrigen Welt nicht mehr herumstoßen lassen (1). Die beiden „weltverteilenden Großmächte“ seien am Status quo in Europa interessiert, klagte Straußens persönlicher Referent Marcel Hepp, sie betrachteten Europa als „Schacherobjekt“ (2). Der Genfer Akkord der Großmächte – gemeint ist die Vereinbarung über den Atomwaffensperrvertrag – signalisiere die „bevorstehende Neuverteilung der Welt“ (3).

Der deutsche Nationalismus in europäischem Gewand

Damit Europa nicht zu kurz komme, müsse es sich dem Abkommen gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen entgegenstemmen, – dies ist, auf einen Nenner gebracht, der Inhalt aller Aufrufe gegen den Sperrvertrag. Der Hinweis auf angeblich gefährdete europäische Interessen verhüllt indes nur dürftig die eigentlichen Beweggründe. Wie schon so oft in jüngster Zeit, sprach auch in diesem Fall die NPD offen aus, was Konservative in anderen Parteien nur denken oder hinter vorgehaltener Hand wispern. „Das Atom ist die Grundlage des Weltgeschäfts der Zukunft“, erklärte der Vorsitzende der NPD-Fraktion im bayrischen Landtag, Dr. Pöhlmann. „Die Bundesrepublik schaltet sich aus diesem Weltgeschäft selbst aus, wenn sie (den Sperrvertrag) unterschreibt“ (4).

Das ist das Kemproblem: um Absatzmärkte für die deutsche Reaktorindustrie geht es, um den Anteil des Umsatzes auf dem Weltmarkt, um den Wunsch nach Teilhabe an den Gewinnen aus dem Geschäft mit „schnellen Brütern“ – und natürlich noch um einiges mehr, nämlich um die Möglichkeit, sich eine Tür zur Entwicklung nuklearer Waffen offenzuhalten. …

Anmerkungen

(1) Vgl. AP vom 6.4.1968.
(2) Vgl. Bayern-Kurier vom 26.9.1968.
(3) Vgl. Bayern-Kurier vom 22.6.1968.
(4) Vgl. Deutsche Nachrichten vom 16.8.1968.

Erschienen in: Blätter für deutsche und internationale Politik, H. 10 (1968), S. 1022-1035.


Die Wiederkehr des Franz Josef Strauß

(Conrad Taler)

Erweiterte Fassung eines Rundfunk-Manuskripts, das einer von Radio Bremen ausgestrahlten Sendung zugrunde gelegen hat.

19. Dezember 1962. Großer Zapfstreich für Franz Josef Strauß auf dem Flughafen Wahn bei Köln. Die Bundeswehr verabschiedet sich von ihrem Oberbefehlshaber, der sein Amt im Zusammenhang mit der Spiegel-„Affäre“ aufgegeben hat. Strauß weiß, dass es für ihn so rasch keine Wiederkehr gibt. Tief ist er gefallen, so tief, dass kaum jemand öffentlich für ihn Partei ergreift. Und doch findet sich in dieser bitteren Stunde einer, der zu ihm hält: Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer. Er sagt: „Ich nehme nicht Abschied von Ihnen. Im Gegenteil, ich hoffe, daß wir in Zukunft noch öfter zusammen sein werden und für unser Volk außerordentlich wichtige Dinge miteinander besprechen können.“ (1)

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Viele waren nicht damit einverstanden, dass Strauß nach seinem umstrittenen Verhalten in der Spiegel-„Affäre“ mit einem Großen Zapfenstreich geehrt wurde. Der Sozialdemokratische Pressedienst meinte, die pompöse Abschiedsfeier sei völlig überflüssig gewesen.

Ein anderer Mann als Strauß hätte es für klug gehalten, zunächst einmal still zu sein und in sich zu gehen. Die Öffentlichkeit war damals sehr beunruhigt. Nach der Spiegel-Debatte des Bundestages, in der Strauß nach anfänglichem Leugnen seine Mitwirkung bei der Festnahme des Spiegel-Redakteurs Conrad Ahlers in Spanien zugegeben hatte, schrieb Friedrich Sieburg in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. Dezember 1962: „Ein Unglück ist geschehen, und es wird nie wieder werden wie vorher.“

DIE WIEDERKEHR DES FRANZ JOSEF STRAUSS

Vier Jahre sind seitdem vergangen, vier Jahre, die Franz Josef Strauß nicht passiv verbrachte. Was der CSU-Vorsitzende in seinem Buch Entwurf für Europa zum Rückschlag in den deutsch-französischen Beziehungen schrieb, diente ihm offenbar auch als persönliche Maxime: „Für den Strategen sind kleinere Schlappen noch keine endgültige Niederlage. Er sollte sie nur zum Anlass nehmen, seine eigene Strategie zu verbessern.“

Dass Strauß seine Strategie verbessert hat – wer wollte noch daran zweifeln, wenn er über die Rolle des CSU-Vorsitzenden bei der Nominierung Kurt Georg Kiesingers als Kandidat für die Nachfolge Bundeskanzler Erhards in der Tageszeitung Die Welt vom 11. November 1966 liest: „Strauß war der eigentliche Königsmacher. Als die CSU für Kiesinger votierte, war die Vorentscheidung schon gefallen. Sie fiel in München, nicht in Bonn.“ Wie kam es dazu? Wir wollen versuchen, den Weg von Franz Josef Strauß während der zurückliegenden vier Jahre und seine Wiederkehr in eine Schlüsselposition der Bonner Szenerie zu beleuchten. …

Anmerkungen

(1) Frankfurter Rundschau, 20. Dezember 1962.

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